Die russische Journalistin berichtet weiter aus Ostdeutschland.
... Die ganze Atmosphäre wurde plötzlich anders. Es bildete sich rasch eine Ellbogengesellschaft. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft wurden rar. Es gab keine Kollegen mehr - nur Konkurrenz.
Diejenigen, die die Arbeit hatten, schufteten wie verrückt. Kein Zeit fürs Kino oder Theaterbesuche, wie das in der DDR üblich war. Die Arbeitslosen glitten in Verfall.
Manche Leute verloren ihre Wohnungen und Häuser. Aus einem unschönen Grund. Viele Ostdeutsche wohnten in Häusern, die während des Krieges zerstört wurden. In diesem Sinne hatte Westdeutschland etwas mehr Glück gehabt.
Auch die Baumaterialien waren im Osten knapp. Aber im Laufe von 40 Jahren konnten die Häuser mit Mühe repariert werden. Und die Ostdeutschen waren oft sehr stolz auf ihre „Villen“.
Nach der Wende kamen aber die lieben westlichen Verwandten, die den Ostdeutschen vorher meistens nur durch die zugeschickten Weihnachtskarten bekannt waren, persönlich und erklärten ihre Ansprüche auf Immobilien, die gern auch in Geldform befriedigt werden dürfen. Aber so viel Geld konnten viele DDR-Bürger nicht haben. Und falls kein Geld parat war, dann mussten oft die Häuser verkauft werden. Manchmal spielten dabei wirklich tragische Geschichten ab...
Aber das Schlimmste war ein totaler Elitenwechsel. Aus dem Westen strömten Glücksritter, um die besten Stellen im Osten zu besetzen. Sie waren vielleicht nicht sonderlich erfolgreich, aber für die neuen Machthaber vertrauenswürdig. Bis heute stammen zum Beispiel in Leipzig ca. 70% der „Verwalter“ aus dem Westen. Wahrlich verdient der Verlierer keine Gnade. Faktisch übernahm die neue Kolonialverwaltung komplett die Kontrolle über die ehemalige Republik.
Die UdSSR hat die DDR einfach im Regen stehen lassen, ohne zahlreiche Eigentumsfragen vertraglich zu regeln. Weise Staatsmänner haben vorausgesehen, dass es zu Eigentumskonflikten kommt, weil es keine faire Vereinigung sondern ein Anschluss war.
Aber damals hat Gorbatschow gesagt: die Deutschen sollen alles selbst regeln. Das bedeutete das Recht des Stärkeren. Und die Stärkeren waren die Wessis.
Es hat also eine Kolonisierung der DDR angefangen.
Zunächst wurden die lokalen Manager angeschwärzt und erniedrigt, damit sie keine Macht mehr hatten, und danach starteten die Kolonisatoren das leckerste Teil des Programms: die komplette Privatisierung des staatlichen Eigentums der DDR.
Ein System hat schlicht ein anderes System aufgefressen.
Rauben auf dem Staatsniveau muss man sehr geschickt und elegant, aber auch sehr schnell, bis das Opfer wieder zu sich kommt. Die DDR war das erfolgreichste Land des Warschauer Vertrags.
So ein fettes Stück musste man auf einmal verschlucken, ohne zu zögern.
- Hat man euch beraubt? - frage ich den ehemaligen Direktor eines Metallurgiewerks in Eisenhüttenstadt Herrn Karl Döring.
- Natürlich. Die DDR-Bürger hatten kein Geld, also wurde die ganzen Wirtschaftsgüter den Wessis überlassen. Und wir vergessen auch nicht den Namen des Verkäufers. Er heißt Gorbatschow. Ja, es gab Demos für die Reisefreiheit, aber es hat keiner verlangt, dass die DDR von der Landeskarte verschwindet. Das muss ich betonen. Für solch eine Entscheidung bedarf es einer entsprechenden Einstellung von Gorbatschow. Und diese historische Prüfung konnte er nicht bestehen.
- Was nun? - führt Döring fort - Die Ostdeutschen sind immer noch ärmer als Wessis. Zahlreiche Studien belegen, dass die Ossis immer noch als Menschen zweiter Klasse eingestuft werden.
Was war für die westlichen Industriellen wichtig? Neue Absatzmärkte um die Ecke, wo man schnell Umsätze machen kann. Das war der totale Grundgedanke. Und er hat sie so mitgenommen, dass sie eines Tages feststellen mussten, dass die neuen „Kunden“ arbeitslos sind und ihre Waren nicht kaufen können. Erst danach kamen die neuen Machthaber einigermaßen zur Besinnung.
Und Herr Döring konnte dann mindestens einige Teile seines Betriebs retten. Dazu hat er die alten Beziehungen mit den russischen Partnern wiederhergestellt, und das Werk konnte wieder Blechstahl nach Russland liefern. Das Geschäft lief so gut, dass das Metallurgiekombinat vom russischen Tscherepowetsk Anteile des Partnerbetriebs in Eisenhüttenstadt kaufen wollte. Das war aber zu viel für die Politik. Das Angebot wurde abgelehnt. Schließlich haben Indier das Werk gekauft.
Herr Döring ist stolz auf seine kleine Stadt der Stahlwerker (vormals auch Stalinstadt genannt). Eisenhüttenstadt ist gerade mal 60 Jahre alt. Das war die erste sozialistische Stadt auf dem deutschen Boden, die von Null aus mit der sowjetischen Hilfe aufgebaut wurde. Der verkörperte Traum von Gerechtigkeit und Gleichheit für alle. Das Schaufenster des Sozialismus.
- Das war eine ganz neue Organisation des gesellschaftlichen Lebens, - erzählt Karl Döring sichtlich berührt, während wir durch die menschenleer Straßen spazieren - Und stellen Sie sich vor! Das erste, was hier nach dem Stahlwerk gebaut wurde, was das Theater! Kindergärten, Kulturhäuser, Skulpturen und Springbrunnen, Kinos und gute Kliniken hatten hier immer den Vorrang. Der Mensch hatte den Vorrang.
Die Stadt sieht auch heute gepflegt aus. Aber etwas stört das Bild. Bald begreife ich, woran das liegt: man hört fast wie keine Stimmen, vor allem keine Kinderstimmen. Nur unsere Schritte erschallen auf der Straße. Das wirkt langsam deprimierend. Als ob die Menschen in der Vergangenheit geblieben sind...
Quelle
... Die ganze Atmosphäre wurde plötzlich anders. Es bildete sich rasch eine Ellbogengesellschaft. Die Solidarität und Hilfsbereitschaft wurden rar. Es gab keine Kollegen mehr - nur Konkurrenz.
Diejenigen, die die Arbeit hatten, schufteten wie verrückt. Kein Zeit fürs Kino oder Theaterbesuche, wie das in der DDR üblich war. Die Arbeitslosen glitten in Verfall.
Manche Leute verloren ihre Wohnungen und Häuser. Aus einem unschönen Grund. Viele Ostdeutsche wohnten in Häusern, die während des Krieges zerstört wurden. In diesem Sinne hatte Westdeutschland etwas mehr Glück gehabt.
Auch die Baumaterialien waren im Osten knapp. Aber im Laufe von 40 Jahren konnten die Häuser mit Mühe repariert werden. Und die Ostdeutschen waren oft sehr stolz auf ihre „Villen“.
Nach der Wende kamen aber die lieben westlichen Verwandten, die den Ostdeutschen vorher meistens nur durch die zugeschickten Weihnachtskarten bekannt waren, persönlich und erklärten ihre Ansprüche auf Immobilien, die gern auch in Geldform befriedigt werden dürfen. Aber so viel Geld konnten viele DDR-Bürger nicht haben. Und falls kein Geld parat war, dann mussten oft die Häuser verkauft werden. Manchmal spielten dabei wirklich tragische Geschichten ab...
Aber das Schlimmste war ein totaler Elitenwechsel. Aus dem Westen strömten Glücksritter, um die besten Stellen im Osten zu besetzen. Sie waren vielleicht nicht sonderlich erfolgreich, aber für die neuen Machthaber vertrauenswürdig. Bis heute stammen zum Beispiel in Leipzig ca. 70% der „Verwalter“ aus dem Westen. Wahrlich verdient der Verlierer keine Gnade. Faktisch übernahm die neue Kolonialverwaltung komplett die Kontrolle über die ehemalige Republik.
Die UdSSR hat die DDR einfach im Regen stehen lassen, ohne zahlreiche Eigentumsfragen vertraglich zu regeln. Weise Staatsmänner haben vorausgesehen, dass es zu Eigentumskonflikten kommt, weil es keine faire Vereinigung sondern ein Anschluss war.
Aber damals hat Gorbatschow gesagt: die Deutschen sollen alles selbst regeln. Das bedeutete das Recht des Stärkeren. Und die Stärkeren waren die Wessis.
Es hat also eine Kolonisierung der DDR angefangen.
Zunächst wurden die lokalen Manager angeschwärzt und erniedrigt, damit sie keine Macht mehr hatten, und danach starteten die Kolonisatoren das leckerste Teil des Programms: die komplette Privatisierung des staatlichen Eigentums der DDR.
Ein System hat schlicht ein anderes System aufgefressen.
Rauben auf dem Staatsniveau muss man sehr geschickt und elegant, aber auch sehr schnell, bis das Opfer wieder zu sich kommt. Die DDR war das erfolgreichste Land des Warschauer Vertrags.
So ein fettes Stück musste man auf einmal verschlucken, ohne zu zögern.
- Hat man euch beraubt? - frage ich den ehemaligen Direktor eines Metallurgiewerks in Eisenhüttenstadt Herrn Karl Döring.
- Natürlich. Die DDR-Bürger hatten kein Geld, also wurde die ganzen Wirtschaftsgüter den Wessis überlassen. Und wir vergessen auch nicht den Namen des Verkäufers. Er heißt Gorbatschow. Ja, es gab Demos für die Reisefreiheit, aber es hat keiner verlangt, dass die DDR von der Landeskarte verschwindet. Das muss ich betonen. Für solch eine Entscheidung bedarf es einer entsprechenden Einstellung von Gorbatschow. Und diese historische Prüfung konnte er nicht bestehen.
- Was nun? - führt Döring fort - Die Ostdeutschen sind immer noch ärmer als Wessis. Zahlreiche Studien belegen, dass die Ossis immer noch als Menschen zweiter Klasse eingestuft werden.
Was war für die westlichen Industriellen wichtig? Neue Absatzmärkte um die Ecke, wo man schnell Umsätze machen kann. Das war der totale Grundgedanke. Und er hat sie so mitgenommen, dass sie eines Tages feststellen mussten, dass die neuen „Kunden“ arbeitslos sind und ihre Waren nicht kaufen können. Erst danach kamen die neuen Machthaber einigermaßen zur Besinnung.
Und Herr Döring konnte dann mindestens einige Teile seines Betriebs retten. Dazu hat er die alten Beziehungen mit den russischen Partnern wiederhergestellt, und das Werk konnte wieder Blechstahl nach Russland liefern. Das Geschäft lief so gut, dass das Metallurgiekombinat vom russischen Tscherepowetsk Anteile des Partnerbetriebs in Eisenhüttenstadt kaufen wollte. Das war aber zu viel für die Politik. Das Angebot wurde abgelehnt. Schließlich haben Indier das Werk gekauft.
Herr Döring ist stolz auf seine kleine Stadt der Stahlwerker (vormals auch Stalinstadt genannt). Eisenhüttenstadt ist gerade mal 60 Jahre alt. Das war die erste sozialistische Stadt auf dem deutschen Boden, die von Null aus mit der sowjetischen Hilfe aufgebaut wurde. Der verkörperte Traum von Gerechtigkeit und Gleichheit für alle. Das Schaufenster des Sozialismus.
- Das war eine ganz neue Organisation des gesellschaftlichen Lebens, - erzählt Karl Döring sichtlich berührt, während wir durch die menschenleer Straßen spazieren - Und stellen Sie sich vor! Das erste, was hier nach dem Stahlwerk gebaut wurde, was das Theater! Kindergärten, Kulturhäuser, Skulpturen und Springbrunnen, Kinos und gute Kliniken hatten hier immer den Vorrang. Der Mensch hatte den Vorrang.
Die Stadt sieht auch heute gepflegt aus. Aber etwas stört das Bild. Bald begreife ich, woran das liegt: man hört fast wie keine Stimmen, vor allem keine Kinderstimmen. Nur unsere Schritte erschallen auf der Straße. Das wirkt langsam deprimierend. Als ob die Menschen in der Vergangenheit geblieben sind...
Quelle
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