Die NGO "Bürgerlicher Beistand" aus Moskau ist den Bloglesern durch ihre regelmäßigen Berichte zur Lage der Migranten in Russland bereits bekannt.
Sie sieht sich als Schirmherr aller (in der Praxis aber vor allem orientalischen) Migranten in Russland. Beim russischen Justizministerium wird diese NGO jedoch als ein "Ausländischer (Einfluss)Agent" geführt.
Diesmal geht es um Beobachtungen eines NGO-Vertreters während des Abschiebeverfahrens in einem Moskauer Gericht. Der Original-Artikel der NGO hat den Titel: "Russischstunde vom Bundesrichter – sehr teuer und von der Ausweisung gefolgt".
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Vor kurzem war der Vertreter von der NGO "Bürgerlichen Beistand" zusammen mit seinen Mandanten bei einem Moskauer Gericht und musste dabei einen, seiner Meinung nach, "merkwürdigen Dialog" erleben und sich notieren. Der weiter geschilderte Dialog ist nach Auffassung der NGO typisch für viele russische Richter, die mit Migranten zu tun haben. An jenem Gerichtsverfahren nahmen zwei Arbeitsmigranten (offensichtlich aus Zentralasien) teil, jedoch dauerte die ganze Prozedur "kaum viel mehr als 5 Minuten".
Hier kommen nun die Notizen aus dem Gerichtssaal.
Richterin: Guten Tag, also… Jetzt spreche ich den Familiennamen vor, und Sie kommen zu diesem Tisch. Nennt den Familiennamen. Nun nennen Sie Ihre vollständigen Familiennamen, Namen, Vatersnamen.
Festgenommener 1: sagt etwas leise nicht auf Russisch
Richterin: Geburtsdatum. Wann wurden Sie geboren? Bitte Zahlen nennen.
Polizist an Festgenommenen 2: Kannst Du für ihn dolmetschen? Nicht schreiben, nur vorsprechen. Was ist sein Geburtsdatum? Spricht er Russisch?
Richterin an Festgenommenen 2: Dolmetschen Sie!
NGO-Beobachter: Soll ich seinen Vater herbeirufen? Er spricht Russisch, er ist im Korridor.
Richterin an NGO-Beobachter: Ja, holen Sie ihn her.
Richterin an Festgenommenen 1: Kennen Sie die Zahlen? Eins, zwei, drei, vier. Dann fahren wir mit Ziffern fort. Der Geburtstag – welche Ziffern?
Pause. Jemand spricht eine Fremdsprache (kein Russisch).
Richterin: Also gut... Haben Sie die Schule besucht? Ok, haben Sie. Haben Sie Ehefrau? Ok, keine Ehefrau… Oder doch?
Festgenommener 1: unverständliche Phrase
Richterin: Haben Sie Kinder?
Festgenommener 1: Nein
Richterin: Arbeiten Sie?
Festgenommener 1: unverständliche Phrase
Richterin: Als Sie nach Russland kamen, wieso haben Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet? Wieso keine Anmeldung gemacht?
Man hört jemand im Saal nicht auf Russisch unterhalten.
Festgenommener 1: (unsicher) Gemacht? Gemacht!
Richterin: Aha, durch Mittler gemacht?
Festgenommener 1: Ja
Richterin: Durch Mittler, also. Sehen Sie! Der kann doch alles verstehen!
Richterin an Festgenommenen 2: Familiennamen, Namen, Vatersnamen vollständig nennen. Geburtsdatum, Ziffern. Zahlen nennen.
Richterin an alle: Und nicht im Saal herumlungern!
NGO-Beobachter: Das ist sein Vater.
Richterin: Ich verstehe. Und stehen Sie bitte mal auf, Herr Beobachter. Was soll jetzt heißen "wie ein Roboter, unmenschlich"? Es gibt die Gesetzgebung, die den Ablauf der Gerichtsverhandlung regelt. Das hat nichts mit "Roboter" oder "unmenschlich" zu tun. Das ist Gesetz. Verstanden?
NGO-Beobachter: Ja
Richterin: Nehmen Sie Platz
Richterin an Festgenommenen 2: Also mit Ziffern…Welche Zahl?
Festgenommener 2: Zahl?
Richterin: Welcher Monat? Januar, Februar, März, April?
Festgenommener 2: Februar.. Äh… März!
Richterin: Ok, März. Nun das Jahr. Zwei Ziffern am Ende: 8 und 9 oder 9 und 7?
Festgenommener 2: 9 und 7
Richterin: Ausgezeichnet. Schule besucht? Ehefrau? Kinder?
Festgenommener 2: (unsicher) Ja.
Richterin: Kinder also, Kleinkinder…
Festgenommener 2: Was?
Richterin: Arbeiten Sie hier? Haben Sie Arbeitserlaubnis?
Festgenommener 2: Werde ich machen!
Richterin: Zuerst Arbeitserlaubnis, dann Arbeit.
Festgenommener 2: Ich habe aber die Anmeldung
Richterin: Wann haben Sie die Anmeldung gemacht? Das interessiert mich.
Festgenommener 2: unverständliche Phrase
Richterin: Durch Mittler machen lassen?
Festgenommener 2: Welche Mittler?
Richterin: Also waren Sie selbst beim Ausländeramt oder haben Sie jemand damit beauftragt?
Festgenommener 2: Mein Gastgeber, mir Geld geben…
Richterin: Der Gastgeber hat es also für Sie erledigt. Alles klar. Ich verlasse jetzt den Saal, um den Beschluss zu fassen. Im Saal nicht herumlaufen. Den Saal nicht verlassen. Herr Beobachter, das betrifft auch Sie. Wenn Sie hier beobachten, bedeutet das nicht, dass Sie sich hier frei herumtreiben können. Den Saal darf man nur zum Anfang der Verhandlung betreten und nicht gegen die Ordnung verstoßen.
...
In einigen Minuten kommt der Beschluss. Er wird jedoch nicht von der Richterin vorgetragen. Die Festgenommenen haben ihn durch Polizisten in Schriftform erhalten: 5000 Rubel Strafe und Ausweisung.
...
Die NGO "Bürgerlicher Beistand" unterstützt nun die auszuweisenden Migranten bei der Berufung gegen diesen Beschluss, der als "Ergebnis der gerichtlichen Willkür sowie der Missachtung des Rechtsverfahrens" von NGO-Vertretern betrachtet wird.
Quelle
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