Das (gekürzte) Interview mit dem führenden Experten für Infektionskrankheiten Wladimir Nikiforow im unabhängigen russischen Fernsehkanal "Doschd".
Mein heutiger Gast ist Wladimir Nikiforow, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten der Medizinischen Pirogow-Universität. Guten Abend!
Guten Abend!
Also, das Thema ist mir nicht bekannt. Darum werde ich naive Fragen stellen. Ich weiß nicht, wie sich eine Pandemie ausbreitet. Ich verstehe nicht, wie das Virus funktioniert. Aber ich kann nicht glauben, dass wir nur dreißig Kranke im ganzen Land haben. Das ist sehr schwer vorstellbar. Was ist mit den Tests, mit der Diagnose? Wie wird so was durchgeführt?
Nun, wie das technisch funktioniert, weiß ich natürlich. Es gibt eine Polymerasekettenreaktion, ein Abstrich, und dann schaut man, ob die RNA des Virus vorhanden ist oder eben nicht. Wie gesagt, wie das technisch gemacht wird, ist klar. Wer untersucht wird, ist im Prinzip auch nachvollziehbar.
Andererseits haben wir im Moment wahrscheinlich keine Möglichkeiten, um unseren Ärzten kurzerhand genug Testsysteme zur Verfügung zu stellen.
Sie sind also nicht vorhanden.
Das ist gut möglich. Eigentlich ist das heute überall so. In jedem Land wird diskutiert, wie viel Testsysteme vorrätig sind, wieso zu wenig und was man dagegen tun kann. Ich bin aber ein Kliniker und Facharzt für Infektionskrankheiten. Und die technische Ausstattung ist die Zuständigkeit des Rospotrebnadzor (Russischer föderaler Dienst für die Aufsicht im Bereich des Verbraucherschutzes und Schutzes des menschlichen Wohlergehens).
Und der Dienst macht seine Arbeit nicht besonders gut...
Kein Kommentar.
Das war mein Kommentar.
Dann bleiben wir einfach dabei, denn Kliniker und Rospotrebnadzor sehen manche Sachen grundsätzlich anders.
Alles klar. Dann nehmen wir mal an, dass es doch mehr angesteckte Bürger in Russland gibt als offiziell vermeldet. Fühlen Sie sich darauf vorbereitet?
Im Prinzip kann ich natürlich nicht ausschließen, dass wir nicht jeden Angesteckten abfangen können. Aber Geschichten über Tausende von Kranken und Verstorbenen, die Leichenschauhäuser buchstäblich überfüllen, gehören in die Kategorie der Wahnvorstellungen.
Solche Gerüchte waren kürzlich in Moskau im Umlauf.
Ich arbeite in der Klinik für Infektionskrankheiten. Ich kenne alle Spezialisten auf diesem Gebiet. Eigentlich gibt es nicht allzu viel davon in Russland. Also hätte ich in jedem Fall gewusst, wie es mit Leichen aussieht. Nochmals zur Klarheit: Selbst wenn man vermutet, dass es mehr Angesteckte als gemeldet gibt, dann sollte man vor allem davon ausgehen, dass der Verlauf der Krankheit bei diesen Menschen keine klinische Ausprägung hat. Sagen wir so: Der Bürger meint, er sei verschnupft.
Also wirklich schwerkranke Patienten, die irgendeine Art von Therapie oder Intensivtherapie benötigen, gibt es im Moment nicht.
Das wundert mich aber. Wo sind sie denn?
Das weiß ich nicht.
Vielleicht liegt es daran, dass Russland geografisch ziemlich isoliert ist?
Kann sein. Es ist aber auch lobenswert, dass wir unsere Grenzen rechtzeitig zugemacht haben.
Meiner Meinung nach ist selbst eine Überreaktion in solchen Fällen durchaus berechtigt. Auch Temperaturmessungen waren richtig...
Welche Temperaturmessungen denn? Die Temperatur wurde in den Flughäfen nach dem Landen auch Ende Februar noch nicht gemessen. Wie es im Moment aussieht, weiß ich nicht.
Also, ich war in Peking Anfang Februar. (Bitte fallen Sie nicht in Ohnmacht - meine Tests sind negativ.) Schon damals gab es diese Prozedur im Flughafen.
Bei mir nicht.
Ich kam aber aus Peking.
Ach ja, aus Peking, dann ist es klar. Nun zum anderen Thema. In den letzten Tagen wird viel über die sogenannte ambulant erworbene Pneumonie gesprochen. Rasanter Zuwachs. Verstehen Sie, was das ist?
Das verstehe ich sehr wohl. Und an diesem neuen Hype bin ich wahrscheinlich zum Teil auch selbst schuld. Denn ich habe ja bei allen meinen Interviews wiederholt, dass es ziemlich dumm ist, von einem schrecklichen und tödlichen Coronavirus zu reden, an welchem in China bis vor kurzem „nur“ ein paar tausend Menschen starben, während wir in Russland nach offiziellen Angaben jährlich ca. 700 tausend Fälle ambulant erworbener Pneumonie registrieren. Aber es ist nichts anderes als nur eine Pneumonie, die halt außerhalb eines Krankenhauses - sozusagen „auf den Beinen“ - durchgemacht wird. Sie kann beispielsweise die Folge einer Grippe sein.
Die Ziffer von 700 Tausend Kranken jährlich für 140 Mio. russische Bevölkerung ist schon beeindruckend. Und wenn wir nun davon ausgehen, dass die Letalität dieser Krankheit bei ca. 2% liegt, dann haben wir bereits 14000 Tote jedes Jahr nur wegen der ambulant erworbenen Pneumonie.
Wenn wir jetzt diese Ziffer mit der Zahl der weltweiten Coronavirusopfer vergleichen, dann ist die ambulant erworbene Pneumonie für uns immer noch dreimal gefährlicher als das Coronavirus. Das war mein Gedanke. Aber vielleicht habe ich zu viel darüber gesprochen. Und jetzt ist der Begriff in unseren Medien halt aktiv im Umlauf.
Es war also nur zur Veranschaulichung.
Und die Massenmedien haben daraus einen Mischling aus der ambulant erworbenen Pneumonie und dem Coronavirus gebastelt. Darüber hinaus gibt es seit ein paar Wochen eine Verordnung, dass alle Patienten mit Pneumonie auch automatisch auf das Coronavirus getestet werden. Dazu kommt noch, dass Menschen heute viel mehr auf ihre Gesundheit aufpassen. Und der Rettungsdienst bringt einen dann sofort ins Krankenhaus. Noch vor einem Jahr musste man die Einlieferung ins Krankenhaus bei Pneumonieanzeichen beim Rettungsdienst regelrecht erflehen. Heute wird man notfalls auch mit der Polizei eingeliefert. Eine ganz andere Situation also.
Wie auch immer haben wir in Moskau für heute ca. 30 Coronaviruspatienten. Und rational gesehen kann ich mich ja mehr oder weniger sicher fühlen. Während zum Beispiel in Italien die Situation wirklich kritisch zu sein scheint. Ich sehe all das und verstehe, dass dies eine richtige Herausforderung für das gesamte System des Gesundheitsschutzes ist, dass es noch mehr Menschen krank werden, und dass das System auch zusammenbrechen kann. Auch wenn wir heute optimistische Behördenberichte lesen, die ich nicht wirklich glaube, trotzdem kann sich die Situation noch zuspitzen. Nicht wahr?
Nicht unbedingt. Jede Epidemie hat, sagen wir so, eine standardmäßige Entwicklung, falls sie nicht bewusst manipuliert wird. Demnach wird jedes Virus mit der Zeit weniger virulent, also weniger aggressiv. Das Virus braucht keine Schwerkranken und keine Toten. Es braucht Träger, die es leicht aushalten. Das war schon immer so. Das Coronavirus existiert seit 1965. Und Viren dieser Art provozierten den banalen Schnupfen. Das, was wir allgemein respiratorische Infektion nennen, ist eigentlich eine Art Oberbegriff, der zu ca. 20% eben aus Coronaviren besteht.
Ich kann Ihnen zusichern, das heute furchterregende COVID-19 degradiert bald zu einer Schnupfen-Infektion, vielleicht mit etwas Husten und leichtem Fieber. So ist die Logik des Prozesses.
Also ist der weltweite katastrophale Spektakel bald zu Ende?
Natürlich.
Wann?
Schauen Sie einfach, wie es in China vor sich geht. Sie haben schnell Lazarette gebaut, nun sind sie am Demontieren. Es ebbt also ab. Ich habe bereits vor Wochen gesagt, dass sich die Situation da drüben zum März stabilisieren wird. Das hat sich nun als korrekt erwiesen.
Chinesen haben aber harte Maßnahmen ergriffen...
Genauso wie das Virus. Aber ich wiederhole: Tote Menschen sind für das Virus auf Dauer nutzlos. Die Natur macht keine Dummheiten. Die Menschen aber schon. Nur der Mensch ist fähig, Dummheiten zu machen. Die Natur ist vernünftig. Wie auch immer ist China bereits über den Berg.
Kann auch Italien bald ausatmen?
Sicher. Auch in Italien bildet sich eine Immunschicht. Wir konzentrieren uns medienbedingt auf Schwerkranke, aber es gibt inzwischen auch eine ganze Menge Menschen in Italien, die das Coronavirus relativ leicht überstehen konnten. Daraus bildet sich die Immunschicht.
Wegen meines Berufs darf ich ja etwas zynisch sein, darum sage ich: Bestimmt wird es Menschen geben, die am Coronavirus sterben, aber wir sterben ja schließlich alle.
Also als Fachmann sehen Sie keine Gründe für einen Notstand hier in Moskau?
Ich sehe ein ernstzunehmendes Problem, aber keine Katastrophe und keine Apokalypse. Apokalypsen werden ja regelmäßig angekündigt. Am Ende ist das nur heiße Luft.
Meinen Sie jetzt Russland oder global?
Global.
Ist die Lage in Russland besser als global?
Im Moment haben wie es etwas besser. Ob es auch weiter so bleibt, kann keiner wissen. Wir hoffen auf positive Entwicklung, aber wir bereiten uns auch weiter vor. Ich würde das so formulieren, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Auf jeden Fall ist die Hysterie nicht angebracht und kontraproduktiv.
Sind also weltweite Einschränkungen und Quarantäne nur Überreaktionen?
Ich glaube schon. Oder nennen wir das anders: Das ist eine Übung. Sie kann ja nicht schaden, falls etwas Ernstes passiert.
Alles klar. Eigentlich ist es angenehm, das Gespräch gerade in diesen Tagen so positiv ausklingen zu lassen.
Unser Gast Wladimir Nikiforow sagt die Apokalypse weltweit und insbesondere in Russland ab, wo die Lage wahrscheinlich doch so ist, wie sie offiziell dargestellt wird.
Quelle
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