Das umstrittene Interview des ukrainischen Journalisten Dmitrij Gordon mit dem ehemaligen pro-russischen Anführer der Donezk-Miliz Igor Girkin / Strelkow schlägt immer noch hohe Wellen.
Für die einen ist Strelkow ein Terrorist und Massenmörder, für die anderen ist er ein von der fixen imperialen Idee besessener und tollkühner russischer Patriot.
Die Geschichte des Krieges in der Ostukraine wird – wie auch sonst oft – mit Blut und Leid geschrieben und dazu noch schwer verifizierbar, darum wäre eine oberflächliche Auseinandersetzung mit einem solchen Thema, geschweige denn Abstempelung, sicherlich nicht angebracht. Darüber hinaus war das Interview, in dem es um den Tod, Morde, Hinrichtungen und Verrat ging und welches immerhin mehr als 3,5 Stunden dauerte, nicht unbedingt für einen besinnlichen Abend am PC zu empfehlen. Doch bereits nach den ersten Minuten fühlte man sich vom Geschehen auf dem Bildschirm irgendwie gefesselt. Schließlich war es ein äusserlich durchaus respektvolles und offenes Gespräch zwischen zwei Menschen, die sich in der Realität u. U. vielleicht abknallen könnten.
Als Kostprobe kommt nun die Übersetzung eines winzigen Interviewausschnitts (entspricht ca. 3 Minuten 38 Sekunden des Videos von 2:36:55 bis 2:40:33).
Gordon
Ich kann unmöglich keine Fragen zur Boeing MH-17 stellen. Wenn Sie aber die eine oder die andere Frage nicht beantworten möchten, beantworten Sie sie nicht. Das ist absolut Ihr Recht.
Im vergangenen Sommer veröffentlichte die Gemeinsame Ermittlungsgruppe zum Fall MH-17 Telefongespräche der Anführer der Donezk-Republik mit Surkow (damals Putins Donezk-Beauftragter - RF) und Aksjonow (Leiter der russischen Krim-Verwaltung - RF). Daraus folgt, dass Sie im Juni 2014 den sogenannten Chef der annektierten Krim, Sergei Aksjonow, gebeten haben, bei der Zuweisung zusätzlicher militärischer Hilfe aus Russland mitzuwirken. <...>
Strelkow
Tatsächlich habe ich eine derartige Bitte um Hilfe formuliert, obwohl ich mich nicht buchstäblich daran erinnere.
Gordon
Eine Woche vor dem Absturz der malaysischen Boeing versicherte Surkow, dass Hilfe kommen würde. Wussten Sie, dass ausgerechnet Buk M1 Ihnen aus Russland zur Hilfe geschickt wurde?
Strelkow
Kein Kommentar. Die Miliz hat die Boeing nicht abgeschossen. Ich kann dazu nichts mehr sagen, und ich will das auch nicht.
Gordon
Dieser Flug, ein Passagierflugzeug...
Strelkow
Die Miliz hat die Boeing nicht abgeschossen. Keinen Kommentar mehr. Verschwenden Sie bitte keine Zeit, wir haben nicht viel davon.
Gordon
Ok, abgemacht. Dann lasse ich alles aus, was die Boeing betrifft.
Strelkow
Das wäre korrekt.
Gordon
Was war Ihr Gefühl, als Sie erfuhren, dass dieses Flugzeug abgeschossen wurde?
Strelkow
Das war für mich natürlich ein sehr großer... Das hat mich regelrecht in Bestürzung versetzt. Das sage ich ganz offen. Das ist wahr. Es starben ja fast 300 völlig unschuldige, unbeteiligte Menschen. Ich bin nicht so unempfindlich, wie viele Menschen vielleicht denken. Mit ist das nicht egal. Natürlich habe ich immer verstanden, dass ich - wenn auch indirekt - dafür verantwortlich bin, wo Kampfhandlungen in Donbass auch von mir maßgeblich mitgestaltet wurden. Verantwortlich für den Tod... Mehr noch. Es war nicht nur ein Schlag für mich in menschlicher Hinsicht, sondern ein Schlag für mich als Befehlshaber der Donezk-Miliz. Ein äußerst harter Schlag. Denn es ist doch klar: Egal, wer schuld ist, wir werden trotzdem beschuldigt. Das wird auf jeden Fall und unbedingt gegen uns ausgespielt. Ich habe übrigens nie an der Beteiligung der ukrainischen Seite (mindestens) am Boeing-Abschuss gezweifelt. Diese Meinung vertrete ich auch heute noch.
Gordon
Wurde die Boeing versehentlich abgeschossen? Kam es damals etwa zur Verwechslung? Was meinen Sie?
Strelkow
Nochmals - kein Kommentar. Was ich wollte, sagte ich ja bereits. Als Kriegspraktiker stelle ich mir immer als Erstes die Frage „Wem nützt das alles?“ Die Antwort ist offensichtlich. Weder die Donezk-Miliz noch die Russische Föderation waren an diesem Boenig-Abschuss interessiert.
Quelle
P.S.
Kürzlich hat sich Anne Phönix auf ihrem Youtube-Kanal zu diesem meinem Artikel (https://www.youtube.com/watch?v=h4G2VqjVsFk, ab ca. 26:30) geäußert, was mich zwar sehr freut, dennoch muss ich meine Kommentatorin leider korrigieren, damit keine Verwirrung bei den Lesern entsteht: Herr Girkin / Strelkow ist kein ukrainischer, sondern ein russischer Nationalist. Also was in dem obigen Artikel steht, ist schon richtig. Und das ist eigentlich der Clou der ganzen Geschichte. Igor Strelkow stammt aus Russland, war (nach seiner Aussage) FSB-Offizier, und er kämpfte in Donezk an der Seite der pro-russischen Miliz. Auch mit der Massenhinrichtung, die ukrainische Nationalisten in Odessa angestellt haben, hatte er natürlich nichts zu tun.
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